Billy Talent Online
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Billy Talent - Moses, die Band

Autor: Dennis Plauk aus VISIONS Nr. 160

Toronto sehen – und dann ein Stück mehr gelernt haben über BILLY TALENT, die ihr Zuhause ein Sechs-Millionen-Menschen-Dorf nennen. Wir haben einen Van, und wir haben die Band. An einem Tag, an dem sich viel von der Euphorie ablesen lässt, die ihr zweites Album von Kanada aus in die Rockhemisphäre der Welt tragen wird. "Wir sind zäh, das ist alles." Mit Verlaub, da ist schon noch ein bisschen mehr. Etwa die Sache mit der geteilten See.

"Hier, für dich! Kleines Beweisstück, wie gewaltig Billy Talent sind." Benjamin Kowalewicz gräbt in den Taschen seiner Jeans und holt ein Stück Metall hervor. Ziemlich klein, ziemlich verbeult und silbern. Es ist das Kopfstück eines Mikrofons. Seines Mikrofons von gestern Nacht, und wenn der Sänger sie nicht beim Umherschleudern auf der Bühne deformiert hat, dann kann er nur hineingebissen haben. "Die Frage ist nicht, wie das passiert ist. Die Frage ist, wie oft mir das passiert. Bitte, ich schenk sie dir. Nimm die Kappe, und such ihr einen schönen Platz daheim auf deinem Rock'n'Roll-Altar. Falls du so was hast. Und später, wenn deine Kinder fragen: 'Daddy, was ist denn bloß mit diesem Ding passiert, warum ist das so kaputt?', dann sagst du: 'Energie, mein Sohn. Pure, rohe Energie.'" Hochverehrtes Publikum, Billy Talent sind wieder da! Die Band, die sie Elefantenherde nennen. Genauso wild, so stark, so gar nicht festzuhalten. Musik wie der Moment, in dem du merkst, dass deine Bremse nicht mehr funktioniert und es sich herrlich trifft, dass du gerade einen Hang herunterfährst. Diese Songs sind Anabolika, und was die Risiken und Nebenwirkungen angeht: Fans einer Band, deren Sänger Mikrofone zerbeißt, verlassen Konzerte tropfend vor Schweiß und mit Spliss vom Schütteln. Zum Beispiel vorhin beim Heimspiel in der Horseshoe Tavern, einer der legendäreren Rockspielstätten Torontos. Ein sog. Secret Gig sollte es werden, unbeworben und reserviert für die Gewinner einer Radioshow. Am Ende blockierte die Menschenschlange fast den Verkehr vor dem Club. "Schön, wieder zu Hause zu sein", warf Kowalewicz noch eben in den Saal und legte dann den inneren Hebel um. Ein Mann wird Flummi und mit ihm seine Stimmbänder. Ringsum stehen und sitzen die übrigen drei, des Wahnsinns Rückgrat: links Gitarrist Ian D'Sa, rechts Bassist Jonathan Gallant, hinten Schlagzeuger Aaron Solowoniuk. Für Sie ab sofort Ben, Ian, Jon und Aaron – der Einfachheit halber und weil weder für ihre Musik noch für den Verlauf dieses Textes von Bedeutung ist, was man an ihren Nachnamen ablesen kann: Billy Talent sind Kinder kanadischer Einwanderer. Der Multikulti-Effekt? Wir sind hier doch nicht bei At The Drive-In! Billy Talent haben ihr zweites Album fertig und es "II" genannt. "Weil Led Zep das auch so gemacht haben", sagt Ian und lacht. Oha, ein erster Anhaltspunkt. Led Zeppelin als erklärtes Vorbild für den Denker und Lenker einer Band, von der man behauptet, sie passe überall ein bisschen rein und nirgendwo so ganz. Manche machen es sich leicht und sagen Rock dazu, andere machen es sich nicht so leicht und sagen Pop. Wieder andere verorten Billy Talent im Emo/Screamo/Post-Hardcore, ich sage: Das ist Punk, und dafür spricht die Attitüde von vier Jungs, die zehn Jahre im Untergrund darben und sich trotzdem weiter auf "das, was wir eben machen" (Jon) verließen, bis es doch noch knallte. Und wie es knallte im Herbst 2003, kaum war ihr Debüt als Billy Talent von der Leine gelassen. Die Rockpresse strickte ihnen einen tonnenschweren Lorbeerkranz, ein Majorlabel schickte sie auf Welttournee, und Ben sprach Sätze wie: "Ich finde keinen Schlaf mehr, wache jeden Morgen in einem anderen Land auf und habe mein Apartment gegen eine Buskoje eingetauscht. Was soll ich sagen, es ist der tollste Job der Welt." Ende April in der Horseshoe Tavern nehmen sie den tollsten Job der Welt wieder auf. Billy Talent stehen nach langem, albumbedingtem Live-Erbargo auf der Bühne und das Publikum mit ihnen: Kopf.

Donnerstag, 12.00 Uhr, die Ausgestoßenen

Tags drauf parkt ein schwarzer Mietwagen, Bandbesitz für einen Tag, vor dem Fish'n'Chips-Restaurant, in dem Billy Talent dinieren. Billy Talent minus eins, weil Ben auf der anderen Straßenseite zwei Mitglieder von Broken Social Scene erspäht und gar nicht erst dazu kommt, eine Bestellung aufzugeben. Er hastet hinüber, kommt nach ausgedehntem Plausch zurück und schwärmt, wie klein Toronto doch im Grunde sei. Sechs Millionen Einwohner, die größte Stadt des Landes, "trotzdem stellt man sich die Musikszene besser vor wie die eines Dorfs. Jeder kennt jeden, alles ist intim." Er gebe zu: manchmal intimer, als es einem lieb sein könne. "Es hat uns sehr geholfen, hier groß zu werden", sagt Ian über frittiertem Heilbutt, "Toronto hat es uns schwer gemacht, eine Nische zu finden. In New York oder L.A. kannst du machen, was du willst – irgendwo gibt es einen subkulturellen Spalt, in den du dich zwängen kannst. Du findest die Bestätigung, nach der du suchst. Hier ist das anders. Als wir mit Billy Talent begannen und uns noch Pezz nannten, Anfang der Neunziger, prallten wir überall ab. Wir waren nicht Grunge genug, nicht Punk genug, nicht Rap-Metal genug. Die Prog-Vögel vom anderen Ende der Straße. Das ließ uns selbstbewusst werden. Ich will nicht sagen, dass wir damals alles richtig gemacht haben – unsere alten Tapes sind da ein gutes Gegenargument. Aber es war wichtig, dass wir zu dieser Dickkopf-Mentalität gefunden haben." Als wir rausgehen, lotst uns der Chauffeur auf die Rückband des Vans. Ben nimmt als letzter Platz. "Männer, wohin führen wir unseren Gast? Let's do Toronto the Billy Talent way!" Zehn Minuten und zwanzig lebensentscheidende Spots später ("hier hab ich mein erstes Bier getrunken", "da vorne gibt's die besten Instrumente Kanadas"), sieht man Ben ratlos im Kreis der Band. Er versuche zu zählen, wie oft er umgezogen ist, seit er das Elternhaus verlassen hat. Zehnmal, zwölfmal, da komme man durcheinander. Ben ist um 30, so wie die anderen drei. Muss er das haben, einen Tapetenwechsel alle paar Monate; das permanente Gefühl, sich zu verändern? "Manchmal ist es das, ja. Oder man wird zum Umzug gezwungen, weil man mit der Freundin seines Mitbewohners geschlafen hat und das den Haussegen nachträglich stört." Es braucht nicht lange, um Ben als den großen Unterhalter zwischen den vieren auszumachen. Wenn er spricht, überschlägt sich seine Stimme, hüpft auf und ab, klingt gerade theatralisch und im nächsten Satz lustig oder bestürzt, euphorisch oder vehement. Billy Talent geben auf einer Autorückbank kein anderes Bild ab als auf der Bühne. Wie sie als Freunde miteinander umgehen, spiegelt wider, wie sie als Band funktionieren. Ben, der Präsentator der Idee: hyperaktiv, unberechenbar, extrovertiert. Ian, der Erfinder der Idee: bescheiden, freundlich, gewissenhaft. Aaron und Jon, die Basis für die Idee: verlässlich, zurückhaltend, standfest. Die Rollen sind klar verteilt. Was sie verbindet, sagt Aaron, ist Disziplin. Trotz und Hartnäckigkeit. "Diese Arbeitsethik ist typisch für kanadische Bands. Du musst das so sehen: Zeit ist etwas Kostbares hier. Sieben, acht Monate lebt man in absoluter Kälte, das lähmt die Kreativität. In der übrigen Zeit muss man sehr konzentriert und zügig arbeiten." Heute misst das Thermometer 20 Grad, noch nie stand das Dach des Baseballstadions so früh im Jahr offen. Der CN Tower wirft einen kilometerlangen Schatten auf die Wolkenkratzer Downtowns. "Ihr habt den Kölner Dom", sagt Ben, "wir diesen 500 Meter hohen Penis." Der Van nimmt die Abfahrt ins Stadtzentrum, wir wollen zu Bens Apartment. "Verflucht!", ruft der von hinten, kaum werden die Häuser niedriger und die Gärten davor größer. "Wir können nicht zu mir. Ich hab doch für heute die Putzkolonne bestellt." Pardon? "Die Katze hat Klo und Fußboden verwechselt. Dabei weiß das dumme Tier genau, dass ich ein sauberer Typ bin. Ach was, ich bin ein verdammter Ordnungsfanatiker! Und da muss Vieh ausgerechnet meinen teuren, weißen Teppich nehmen. Ich sollte sie entweder rausschmeißen oder sofort umbringen. Würde sie nur nicht meiner Freundin gehören..."

13.30 Uhr, die Ausgezeichneten

Um dem neuen Album auf die Spur zu kommen, empfiehlt sich ohnehin ein Schlenker in der Reiseroute. Dorthin, wo es zur Welt kam – in einer wuchtigen, rot verklinkerten Fabrikhalle in Hafennähe. Hier haben Billy Talent ihren Proberaum, einen von vielen Dutzend, die der Bau hergibt. Billy Talent schreiben ihre Songs, wo es zig andere Bands aus Toronto auch tun. Wie Könige fühlen sie sich in diesen Wänden nicht gerade, sagt Jon, "und das genießen wir. Ganz selten klopft es mal an der Tür, und ein paar Neue lugen herein, weil sie gehört haben, wer hier probt. Wir gehen raus zu ihnen, und sie schwärmen uns von ihrem ersten Demo vor. Das ist doch fantastisch!" Die Flure sind abschüssig, das Licht ist fahl, und hinter der Tür, auf der 210 steht, eröffnen uns Billy Talent ihr Allerheiligstes. Ein zur Stunde ziemlich leeres Allerheiligstes, weil Roadie Grant Varney längst alles Equipment für die anstehende Tour nach Europa verschifft hat. Zurückgeblieben sind: die Beatles (als Poster), Johnny Rotten (als Foto), eine von ihrer Heimatstadt Mississauga verliehene Urkunde für "außerordentliche künstlerische Leistungen" sowie die Reißbrettskizzen mit verworfenen wie behaltenen Songs für "Billy Talent II". Arbeitstitel: "Jesus Christ Pose Song", "Nirvana-ish", "The Pee Song", "Looking To Hire, Looking For Slaves". Ian: Jon, wo ich das gerade sehe – wir sollten "In The Fall" wieder umbenennen. In "The Navy Song", so wie am Anfang. Jeder, der den Song hört, sagt: Das war der perfekte Titel. Jon: Ha, weil sie nur den Roughmix kennen! Ian: Egal, lass uns das nochmal ändern. Jon: Der Leser sollte wissen: Diesen Song zu spielen, fühlt sich an, als wäre man auf Wasser. Rauf und runter, wie starker Wellengang. Das Riff am Anfang haben wir "The Dolphin Part" getauft. So läuft das immer – Ian überträgt eine Piano-Idee auf die Gitarre und spielt sie uns vor. Dann geben wir ihr einen passenden Namen. Das hilft uns, sie später wiederzufinden. Es ist nämlich so, dass Ian ganze Stapel von Songideen und -fragmenten mit sich rumschleppt. Laufend kommen neue hinzu. Setz ihn in den Tourbus, drück ihm ein Instrument in die Hand, und schon ist der Stapel wieder ein Stück höher. Später präsentiert uns Ian seine Ideen, wir wählen die besten aus und setzen sie zusammen. Ist ein bisschen wie Legobauen. Und dieser Part hier, der hört sich eben nach Wasser an. Ian: Und der Refrain nach einer großen Seeschlacht. "The Navy Song" halt. VISIONS: "The Navy Song" klingt gut. Ian: Da siehst du's! Jon: Es klingt nicht gut, es klingt schwul. Ian: Es klingt nur deshalb schwul, weil du die ganze Zeit an diese Village-People-Nummer denkst, "In The Navy". Jon: Und wenn schon... Ian: Jon, es ist okay ein bisschen Homoerotik auf dem Album zu haben. Add a little gayness to your life! Jon: Du meinst, es ist noch nicht zu spät? Ian: Es ist nie zu spät. Jon: Gut, dann bin ich überzeugt.
Ians erbitterter Überzeugungsarbeit sei Dank: "The Navy Song" heißt "The Navy Song" auf "Billy Talent II", auch wenn der Interimstitel "In The Fall" eine schöne Brücke zu "Fallen Leaves" geschlagen hätte, einem der anderen herausragenden Songs des Albums. Rechnete man musikalischen Fortschritt in Schritten, sagt Ian, hätten sich Billy Talent mit ihrer Zweiten vier Schritte vom Debüt entfernt. "Als Liedschreiber, als Soundtüftler, als Instrumentalisten und als Freunde. Wir wollten es uns nicht zu leicht machen, zufrieden zu sein. Keine Ahnung, wie viele Dutzend Gitarrenverstärker durchs Studio gereicht wurden, bis wir beim richtigen angekommen waren." Hört er die erste Platte seit der zweiten mit anderen Ohren? "Herrje! Ich fürchte, jetzt im direkten Vergleich wird offensichtlich, dass wir beim ersten Album gerne mal überfordert waren. Zu ambitioniert. Darüber haben wir mitunter vergessen, auf den Punkt zu kommen. Wir haben unserem Debüt mit dem neuen Album wohl keinen Gefallen getan." Ben sagt das so: "In dieser Band zu sein, ist wie in einem Faustkampf zu stecken. Beim ersten Mal haben wir Steine benutzt, jetzt zücken wir Messer." Für die Aufnahmen von "Billy Talent II" befahl sich die Band abermals ins Exil. Ans andere Ende des Landes, nach Vancouver. Wo es laut Aaron ununterbrochen regnet und man nur schwer in Versuchung kommt, den Tag anderswo als im Studio zu verbringen. Ben schleppte sich "ausgebrannt vom Touren, aber mit großem Vertrauen in uns" zu den Sessions. Wochen voller 16-Stunden-Tage später saß Ian über den Mixen und merzte letzte Fehler aus. "Ich bin ein völliger Kontrollfreak. Alles geht durch meine Hände, weil ich es nicht ertragen könnte, einen Patzer auf der Platte zu finden und nichts mehr dran ändern zu können. Ich würde..." Es unterbricht: Jon. "Ian, ich sollte dir das sagen, auch wenn das Album schon im Presswerk ist. Ich habe einen Bassfehler gefunden, und es tut mir sehr leid. In ,Fallen Leaves', da stolpere ich einmal aus dem Rhythmus." Wir lernen: Ian mag ein Kontrollfreak sein, aber er kann es durchaus ertragen, nichts mehr an einem Patzer auf Platte ändern zu können. Er lacht und steckt die anderen an. "Wir sehen solche Dinge wohl sonderbar entspannt für eine Band, die sechs Wochen im Studio zusammenhockte und nichts anderes tat, als sich auf Songs zu fokussieren", sagt Aaron. "Um das zu können, haben wir Toronto verlassen. Damit uns nicht die Alltagsroutine in die Quere kommt. Etwas so Profanes wie ein platter Reifen kann dich prompt aus dem Konzept werfen. Ben zum Beispiel..." – "Fünf in einem Jahr. Fünf beschisse Platten! Ist das eine Menge? Es ist eine Menge! Und es war nicht mal mein eigenes Auto. Ich hab's mir geborgt, und niemand sagte mir, dass ein böser Fluch darauf liegt." Beim Rausgehen treffen wir Grant, den Roadie. Er lebt in einer Zwei-mal-drei-Meter-Nische im Keller. Auf dem Boden ein Schlafsack, an den Wänden Schallplattencover, die besseren Tapeten. Grant ist Billys Mädchen für alles, ein kleiner, beleibter Mann mit Langhaar und Vollbart, der quasi-offizielle Bandarchivar. An seiner Tür hängt ein Zeitungsausschnitt über eine der vielen kanadischen Awardshows, die Billy Talent mit Trophäen unter dem Arm verlassen haben. Auf dem Foto drückt Ben einer perplexen Avril Lavigne einen Kuss auf die Wange – was je nach rockkulturellem Breitengrat für Heiterkeit, Empörung oder abenteuerliche Spekulationen sorgte. "Sie stand halt gerade günstig. Das war so ein ganz spontanes Ding." Hast du dich nachher bei Avril entschuldigt? "Entschuldigt?! Nein, wofür? Ich wette, sie hat es genossen!"

15.45 Uhr, die Ausgrenzenden

Die letzte Viertelstunde hat Ben damit verbracht, einem Reporter aus Montreal am Telefon zu erklären, dass sich Billy Talent mit ihrer ersten Single "Devil In A Midnight Mass" nicht als Ausgeburt des Teufels feiern wollen. Er legt das Handy beiseite und schnauft. "Erste Frage: Wollt ihr mit dem Song eure christlichen Hörer angreifen?" In Journalistenschulen formuliert man Eisbrecherfragen anders. "Ich habe das befürchtet", sagt Aaron und meint den Liedtext, in dem Ben auf den Pädophilie-Skandal eines Bostoner Priesters anspielt. Der Fall kam 2002 ans Licht und war nicht eben ein Imagegewinn für die katholische Kirche Nordamerikas. "Das Video wollten wir unbedingt in einer dieser schönen, alten Kirchen drehen. Also haben wir zehn in Frage kommende Gemeinden in Toronto angeschrieben und zur Sicherheit gleich die Lyrics beigelegt. Von neun kamen Absagen, eine willigte ein. Später haben wir rausbekommen, dass diese Gemeinde in Geldnot steckt und gar nicht anders als konnte, als auf unser Angebot einzugehen." St. Anne's Anglican Church macht von außen keinen armen Eindruck, eher den düster-imposanten einer hundert Jahre alten Kirche im byzantinischen Stil. "A devil in the midnight mass/ Killed the boy inside the man/ The holy water in his hands/ Can never wash away his sins […] Hold your breath and count to four/ Pinky swears don't work no more/ Put my trust in God that day/ Not the man that taught his way.” Als sich der Van in Bewegung setzt, sieht Aaron der Kirche nach. "Wenn wir in zwei Wochen zu euch kommen und das Shooting fürs Titelfoto ansteht, können wir dann den Kölner Dom nehmen? Ich weiß, das wird schwer wegen der vielen Touristen. Aber wir haben nun mal dieses Riesenfaible für alles Sakrale."

VISIONS: Videos, Artworks, Fotosessions – bitte alles in Eigenregie! Es scheint euch schwer zu fallen, Kontrolle über etwas abzugeben, das euch nach außen präsentiert. Ben: Wir lassen anderen da so wenig Spielraum wie möglich, das stimmt. Dabei haben wir selbst nicht mal eine klare Vorstellung davon, wie wir wahrgenommen werden wollen. Es ist nicht so, als gäbe ein "Konzept Billy Talent". Das könnte ich nie in drei, vier Sätzen festmachen. Wir haben einfach einen guten Bullshit-Detektor, wir sind unsere eigene Qualitätskontrolle. Eine mittelmäßige Idee hat vielleicht mal die Chance, an einem oder zweien von uns vorbeizukommen – alle vier passiert sie nicht. Ian: Wir sind Filter füreinander. Ben: Deshalb ist es selten nötig, das Außenstehenden zu überlassen. Ian musste lange mit sich kämpfen, bis er einsah, dass es besser wäre, alle Energie in die Studioarbeit zu stecken, statt sich nebenher auch noch ums Artwork zu kümmern wie letztes Mal. Ian: Henry Fong, ein Freund der Band, hat es in enger Absprache mit uns gestaltet. Für jeden Song ein individuelles Motiv. Henry ist einer der Leute, die unseren vollen Respekt haben, weil sie uns vollen Respekt geben. Ben: Wer uns krumm kommt, den (brüllt) BRINGEN WIR ZUR STRECKE! (lacht) Ehrlich, keiner kann besser beurteilen, wie Kunst präsentiert werden sollte, als der Künstler selbst. VISIONS: Und falls ihr euch selbst mal nicht einig werden könnt... Ben: ...haben wir Aaron, den wir "die Schweiz" nennen. Weil er immer neutral ist. Aaron: Hey, Moment! Ich war's doch, der gesagt hat, dass mich manche von Henrys Zeichnungen an Dildos erinnern. Ben: Du hast es zwei Wochen lang vor dir hergemurmelt, um dann zu entscheiden, dass es dir eigentlich egal ist. Aaron: Quatsch. Ian: Ben hat recht. Jon: Aaron ist ein Nihilist.
Aaron: Ich hatte nur befürchtet, dass Henry es uns vielleicht übel nehmen könnte, wenn wir ihm sagen, dass sein Artwork nach Dildos aussieht. Ian: Er ist ein Profi, er kann damit umgehen. Aaron: Nein, er würde darüber in Tränen ausbrechen. Er ist... Ben: Hey, schaut raus – Little Portugal! Hier bin ich aufgewachsen. Die Party zu meinem 13. Geburtstag haben wir genau dooooort drüben gefeiert. In der Kneipe. Jon und Ian waren DJs, und Aaron ist nicht mal aufgetaucht. Aaron: Weil ich verhindert war. Ich habe alles gegeben, um noch zu kommen. Ben: Lügner! Du hast NICHTS gegeben! Du hattest keine Lust. (lacht) VISIONS: Wie war eure erste Show? Ben: War das dieser Talentwettbewerb? Jon: Nee, die erste war im Stardust. Ben: Genau, und später wurde ich von einem Mob Muskeltypen verprügelt. Ohne Grund. VISIONS: Vielleicht die Songauswahl... Ben: Ja, womöglich. Das erste Stück, das wir konnten, war "Rockin' In The Free World" von Neil Young. Das lernten wir bei unserer ersten Probe. Jon: Das vergesse ich nie! Aber es war die zweite Probe. Bei der ersten saßen wir blöd herum und bekamen nichts zustande. Ian: Und bei der dritten wagten wir uns schon an "Killing In The Name" von Rage Against The Machine. Ben: Und dann an jeden Song von Rage Against The Machine. Ian: Wir waren praktisch eine RATM-Coverband. Sie waren die einzigen damals, die sich nicht in diesem dämlichen Rap-Rock-Ding ergingen. Ben: Wisst ihr was, ich kann das mit gutem Gewissen sagen: Seit diesem ersten Tag mit euch im Proberaum wusste ich, dass irgendwann etwas Großes passieren würde. Es war eben eine elende Geduldsprobe. Zehn Jahre hat man sich einen Dreck um uns geschert, jeder hatte früher oder später den Gedanken: "Scheiße, wie lange können wir das noch durchhalten? Mir werden die besten Stellen angeboten, und ich halte trotzdem weiter hieran fest." Wir waren zäh und sind's geblieben, das ist alles. Die Band war immer für mich da. Keine Frau, kein Freund, kein Drecksjob war das.

17.15 Uhr, die Auserwählten

Torontos bestes Rockradio der Welt, 102.1 The Edge, sitzt auf der Yonge Street, einer breiten, endlosen Hauptstraße im Zentrum. Der Moderationsraum liegt offen wie ein Schaufenster direkt am Bürgersteig. Als unser Van um die Ecke biegt und sich in Sekunden herumspricht, wer seine Insassen sind, bewegt sich die Mädchentraube kreischend zum Künstlereingang. Die Polizei patrouilliert zu Pferd, Securitymänner stemmen der Band eine Schneide durch den Pulk. Ein tapsiger Radiomann fällt Billy Talent um den Hals, gratuliert zu einem "Monster von Album" und spielt ein paar der neuen Songs, zu denen es Ben nicht lange auf dem Stuhl vor seinem Mikrofon hält. Heute beißt er nicht hinein, tanzt lieber, spielt Luftgitarre und lässt sich nebenher interviewen. Der Moderator sagt: "Erst diese Ostern hab ich im Fernsehen ,Die Zehn Gebote' mit Charlton Heston gesehen. Ich glaube fest daran, dass Billy Talent die Auserwählten sind, die das Rote Meer des Rock'n'Roll teilen werden, in gute und in schlechte Bands. Und jetzt gebt ihnen Stifte!" Schuhe, Platten, Poesiealben, Hosenbeine – sie signieren, was man ihnen reicht, und setzen auch auf dem fünfzigsten Fan-mit-Band-Foto ein ungequältes Lächeln auf. "Ich habe diese Euphorie vermisst", sagt Ian später, auf den letzten Metern im Wagen, "auch wenn sie mir manchmal Angst macht." Jon lacht. "Ian, da waren zwei Mädels, die hinter deinem Rücken Fotos gemacht haben, auf denen sie so tun, als kniffen sie dir in den Arsch!" Aaron lässt sich an einer Ampel absetzen, Ben wippt noch ein paar Minuten auf seinem Sitz. "Jetzt kommt Europa, danach Neufundland, die Festivals, USA. In ein paar Monaten sind wir zurück in Toronto, dann müssen wir versuchen zu retten, was noch von unseren Beziehungen übrig ist." Benjamin Kowalewicz spricht laut und schnell. Er spricht über den tollsten Job der Welt.



 
 
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