Billy Talent
Wir haben einfach drauflos  geschrieben.
Jon Gallant  und  Ian D'Sa  von Billy Talent über  schwierige Bandjahre, Youtube als Promotionkanal und das Album "Billy  Talent III" 
Jon, Ian, wie lange habt ihr gebraucht, um euer  neues Album „Billy Talent III“  fertigzustellen?
Ian: Gar nicht  so lange, wir haben Ende 2007 aufgehört zu Touren und ein paar Monate  später angefangen, neue Songs zu schreiben. Aber dann sind wir  zwischendurch auch wieder auf Tour gegangen, weil wir die Gelegenheit  hatten, als Vorband von My Chemical Romance zu spielen. Danach haben  dann den Rest der Songs geschrieben und im Oktober 2008 sind wir ins  Studio gegangen. 
Wie wichtig ist es denn, sich für ein neues Album  viel Zeit zu nehmen? 
Jon: Man muss sich auf jeden Fall Zeit  nehmen. Ehrlich gesagt weiß ich auch nicht, wie wir unsere besten Alben  bisher in so kurzer Zeit machen konnten. Für die Fans scheint es  vielleicht lang, weil zwischen den Alben drei Jahre liegen. Aber davon  waren wir ja zwei Jahre auf Tour.
Ian: Weil wir vom ersten Album an gleich  international erfolgreich waren, haben wir mehr Zeit auf Tour verbracht  als andere Bands, die nur zuhause in Kanada spielen. Und dann bist du  zwischendurch ein Jahr zuhause und ein Album aufzunehmen.
Jon: Ich denke, man braucht Zeit, um die Dinge gut  zu machen. Es ist auch schwierig, in den kreativen Modus reinzukommen.  Nach einer langen Tourphase kommen erst mal drei vier Monate, wo die  Ideen nur sehr langsam reifen - und dann, ganz plötzlich, öffnen sich  die Schleusentore.
Würdest du sagen, ihr habt in den letzten Jahren  musikalisch Fortschritte gemacht?
Ian: Seit dem letzten Album auf  jeden Fall. „Billy Talent III“ wurde von Brendan O’Brien produziert,  wir sind alle große Fans der Alben, die er seit den 90er Jahren  produziert hat, das war schon ein Privileg mit ihm zu arbeiten. Insofern  ist unser Sound jetzt auch ganz anders als bei den vorherigen Alben.
Progressiver?
Ian: Wir haben einfach  drauflos geschrieben, was uns so in den Sinn kam. Nebenbei haben wir  viele der Lieblingsbands unserer Schulzeit gehört, Musik aus den frühen  90ern. Das heißt, es gibt auf dem Album eine Menge Einflüsse von Bands  wie Soundgarden, Rage Against the Machine und den Red Hot Chili Peppers,  Nirvana und Pearl Jam. Vorher kam die Einflüsse ja eher aus den späten  Siebzigern, von Punk-Bands wie The Buzzcocks und The Clash und von  Hardcore-Bands wie Fugazi und At The Drive-In.
Sind Billy Talent ‘erwachsener’ geworden? 
Ian:  Die Platte ist viel erwachsener. Es ist immer noch Billy Talent, aber  etwas düsterer und die Texte sind tiefgründiger, etwas introvertierter.  Man erkennt jetzt noch mehr eine persönliche Perspektive dahinter, einer  Person, die versucht, mit ihrer Umgebung fertig zu werden.
Wie war die Erfahrung für euch, plötzlich so  bekannt zu sein? 
Ian: Also, das letzte Album war in Deutschland  ja sehr erfolgreich, da bekamen wir einen ersten Eindruck wie es ist,  auf größeren Bühnen zu spielen. Es ist schön, jetzt zurückzukommen und  zu sehen, dass wir hier immer noch Fans haben, das ist wunderbar.
Jon: Aber richtig dran gewöhnen kannst du dich  nicht. Es fühlt sich die ganze Zeit etwas sonderbar an.
Ian: Wobei wir uns jetzt nicht richtig berühmt  fühlen. Auch weil wir schon so lange eine Band sind...
…genauer gesagt seit 1993. Ist es schwierig, so  lange zusammen zu bleiben?
Ian: Ich denke, es wird mit der Zeit  einfacher. Die ersten acht Jahre waren die schwierigsten, weil wir da  erstmal rauskriegen mussten, was mit der Band passiert. Wir hatten  keinen Plattenvertrag, keine Tour, wir sind noch auf’s College  gegangen...
Jon: Wenn du jung bist musst du dich selber ja auch  erst entdecken, deine Welt und wohin du willst.
Viele Leute vergleichen das Zusammensein in einer  Band mit einer Beziehung.
Ian: Also, die ersten acht Jahre haben  wir es wirklich nur aus Leidenschaft gemacht, und wir haben natürlich  gehofft, dass eines Tages mehr draus wird. Aber wir mussten alle noch  andere Jobs machen, um unsere Miete zu zahlen. Das waren die schwierigen  Jahre. Als wir dann einen Plattenvertrag bekamen und anfingen zu  touren, konnten wir allein davon leben – das hat alles einfacher  gemacht.
Jon: Ja, es ist schon unglaublich, ich fühle mich  wie der glücklichste Mensch auf der Welt, weil ich heute einfach nur  Musik machen kann. 
Vor dem Album-Release waren schon ein paar Stücke im  Internet zu hören. Stört euch so etwas?  
Jon: Nein, unsere Single ist ja jetzt schon  veröffentlicht, wir haben auch ein paar von den anderen Songs schon live  gespielt – ich denke viel mehr, dass so etwas hilft, die Leute auf das  Album aufmerksam zu machen.
 
Was haltet ihr davon, dass die großen  Plattenfirmen Youtube auffordern, bestimmte Songs und Videos von der  Seite zu löschen?
Jon: Ich bin damit nicht einverstanden.
Ian: Ich auch nicht, weil ich denke, dass es eine  gute Möglichkeit ist, eine Band kennen zu lernen. Wenn ich zum Beispiel  von Freunden etwas über eine neue Band höre, gehe als erstes entweder  auf ihre Myspace-Seite oder auf Youtube. So lernen die Leute heute neue  Musik kennen.
Jon: Meine Nichte ist jetzt zwölf, und ich habe sie  neulich gefragt, wie sie Musik hört. Und da meinte sie, „Ich höre all  meine Musik auf Youtube“. 
Dann habe ich vor kurzem auch gemerkt,  dass dort ein paar Videos verschwunden sind. Das liegt wohl daran, dass  die Plattenfirmen jetzt Leute beschäftigten, die im Internet nach ihrer  Musik suchen sollen und die dann diesen wunderbaren Kanal – über den die  eigenen Bands ja auch bekannt werden können – löschen sollen. Das ist  lächerlich, das ist wie ein Schritt zurück. Die Plattenfirmen verstehen  es nicht, mit den neuen Kanälen im Netz umzugehen.
Ian: Ich finde, man sollte auch in Zukunft auf  Youtube oder sonst wohin im Internet gehen können und sich eine Single  anhören können. Im Radio wird sie doch auch gespielt.
Jon: Und im Netz wird sie dann sowieso irgendwann  sein. Warum also das noch verhindern?
Ian: Ich kann es verstehen, wenn es um ein  komplettes Album geht, das vor Veröffentlichung bereits im Netz  erscheint, die Albumproduktion kostet ja auch viel. Aber später wird es  sowieso für jedermann zu haben sein.
Jon: Darauf sollten sie sich auch konzentrieren, wie  bei den Filmen: In der ersten Woche für möglichst viel Aufsehen sorgen.  
Aber warum sie dann auf diesen Promotion-Kanal verzichten wollen,  verstehe ich einfach nicht.
Ihr lebt heute von der Musik - wünscht ihr euch  trotzdem manchmal, einen anderen Job zu haben?
Jon: Nein. Als ich  angefangen habe, Bass zu spielen, wollte ich das mein Leben lang  machen. Ich habe viel und hart geübt, ich hatte Spaß in meinen Bands –  nur kamen dann mit 21 natürlich auch die ersten Lebensfragen. Deine  Eltern sagen, du musst auf die Uni gehen, mein Vater meinte immer: „Du  musst einen Plan B in der Tasche haben“ – aber wir haben uns irgendwann  voll auf die Band konzentriert, und als ich 25 war hat sich alles zum  Guten entwickelt. Heute will ich nichts anderes machen.
Ian: Es ist schon cool, etwas zu machen, wofür du  nicht auf’s College gehen musst. Du musst einfach selber dran arbeiten,  lernen, wie es funktioniert, du musst es wirklich wollen - und wenn du  dann dein Ziel erreicht hast, weißt du es auch viel mehr zu schätzen.
 Interview:  Benjamin Figler